Das Geheimnis einer lebendigen Beziehung - Sprich mit mir

Was macht eine gute Beziehung aus? Wie schaffen wir es sie dauerhaft erfüllt zu leben?
In mehr als der Hälfte aller Hamburger Haushalte lebt nur eine Person. Im Jahr 2021 lebten in Deutschland rund 22,69 Millionen Personen, die Single waren. Soweit die Zahlen. Zugleich erlebe ich in meiner Praxis, dass sich die meisten Menschen nach einer Paar-Beziehung sehnen. Welche Bedingungen braucht es für ein gutes Gelingen?
Reden hilft, ist meine ganz persönliche Erfahrung.

Fünf Bedingungen einer lebendigen Beziehung

Was zeichnet eine gute Kommunikation in einer Beziehung aus?
Michael Lukas Moeller benennt fünf Bedingungen einer lebendigen Beziehung:
• Ich bin nicht du und weiß dich nicht.
• Wir sind zwei Gesichter einer Beziehung und sehen es nicht.
• Dass wir miteinander reden, macht uns zu Menschen.
• In Bildern statt in Begriffen sprechen.
• Ich bin für meine Gefühle selbst verantwortlich.

Wie sind seine Thesen zu verstehen? Was können wir für uns daraus mitnehmen?

Ich bin nicht du und weiß dich nicht:

Wenn uns jemand vertraut ist, gehen wir oft davon aus die Person zu kennen. Wir vergessen richtig hinzusehen, zuzuhören, neugierig zu sein. Wir verallgemeinern: Ach, du immer mit deinen…, glauben zu wissen, ordnen Dinge in Schubladen ohne sie weiter zu hinterfragen. Das heißt wir haben ein Bild der anderen Person und beginnen sie darauf zu reduzieren. Das verkennt uns als lebenslang lernende Wesen. Wir unterliegen alle beständiger Wandlungen und Lernprozesse. Wir entwickeln uns fort, werden an manchen Stellen andere. Auch zementieren wir damit vorausgegangene Fehlannahmen. Ich glaube zu wissen wie du bist. Welch gnadenlose Selbstüberschätzung. Wo wir doch in der Regel kaum wissen, wie wir selber sind.
Ich muss schmunzeln während ich das schreibe. Denn natürlich weiß ich ganz genau, wer ich bin und wie du bist! Es ist zutiefst menschlich und im Alltag äußerst hilfreich, Dinge zu verallgemeinern, einzuordnen und festzulegen. Es vereinfacht und gibt ein subjektives Gefühl von Sicherheit. Und doch sollten wir den Mut haben zu erkennen, dass das eine große Selbsttäuschung ist. Etwa ein Zehntel aller Informationen, die wir aufnehmen werden bewusst, neun Zehntel bleiben unbewusst.
Es lohnt die Muse zu haben, uns zu hinterfragen und uns auf zu machen für neue Entdeckungen. An uns selbst und am anderen.

Differenzierung als Quelle sexueller Leidenschaft

Zugleich steckt in dem Satz von Moeller die Differenzierung: Ich bin nicht du. Wer mit mir arbeitet kennt meinen Hang dazu immer wieder einmal Grenzen mit Seilen legen zu lassen. Den eigenen Raum. Die Wahrnehmung des Eigenständigseins. Und auch des: Da bist du und da bin ich. Der Verortung, der Unterscheidung. Des Feststellens von Differenzen.
David Schnarch betont in seinem Buch Die Psychologie sexueller Leidenschaft, den hohen Wert der Differenzierung. Gemeint ist damit sich in seiner Eigenart wahrzunehmen, zu sich zu stehen, in dem wie man ist. Thich Nhat Hanh hat dafür den wunderbaren Begriff der Soheit.
Gelingt es mir unabhängig von meiner Gegenüber und ihrer Meinung dazu mich so zu zeigen wie ich bin? Und natürlich auch meine Partnerin so zu sehen und zu akzeptieren wie sie ist? Die Andersartigkeit zu sehen und zu halten. Nach Schnarch ist genau das die Quelle sexueller Leidenschaft: Den anderen in seiner Andersartigkeit zu lassen, bei mir selber zu bleiben in dem wie ich bin und uns in diesem Spannungsfeld akzeptierend zu begegnen.

Wir sind zwei Gesichter einer Beziehung und sehen es nicht:

Ein bisschen paradox zum oben genannten steht diese These. Wir sind verbundener miteinander als wir es wahrhaben wollen. Allein. All Ein. Eigenständig und ineinander verflochten.
Wir Menschen neigen dazu uns als unabhängige Wesen wahrzunehmen. Wir denken, dass wir unsere Entscheidungen aus uns selbst heraus fällen. Tatsächlich aber sind wir soziale Wesen und viel stärker miteinander verwoben, als wir denken und wahrhaben wollen. „Wir sind beziehungsgezeugt, beziehungsgeboren und beziehungsentwickelt…Das, was wir Seele nennen, besteht im Wesentlichen aus den erlebten Beziehungen, die wir verinnerlichten.“ (Moeller: Die Wahrheit beginnt zu zweit, 201736, S. 168).
Moeller geht sogar so weit zu behaupten, dass wir in Beziehung beide an jedem Verhalten eines jeden beteiligt sind. Selbst die Geheimnisse der beiden Partner*innen, behauptet Moeller, gleichen sich. Wir leben in Bezug aufeinander und unsere Selbstwahrnehmung ist beeinflusst durch die Brille des Partners.

Dass wir miteinander reden macht uns zu Menschen:

Wir können miteinander reden und nichts sagen. Wollen wir wahrhaftig miteinander in Kontakt kommen gilt es nicht nur zu reden, sondern auch uns wahrhaft mitzuteilen. Du kannst dich also fragen: Was spreche ich in meiner Beziehung nicht aus? Was führe ich eventuell an innerem Dialog von dem mein nächster Mensch noch nie gehört hat? Bei welchem Gedanken, den ich in mir entdecke, schnellt mein Puls hoch, sobald ich in Erwägung ziehe ihn auszusprechen? Genau dieser sollte gesagt sein. Er birgt ein offenbar wichtiges Thema.
Also einfach alles aussprechen, was mich in Wallung bringt? Probiere es aus. Beobachte dich selbst dabei. Wie fühlt es sich an, das Wesentliche auszusprechen? Was macht es mit mir? Wie fühle ich mich danach? Beziehe ich mich sofort auf den anderen? Scanne ich durch was im Gegenüber passiert mit dieser Information? Welche Befürchtung entsteht in mir? Vielleicht möchte ich auch diese mitteilen und einen Realitätscheck machen. Gehst du jetzt auf Abstand?  Verachtest du mich? Und wie sind meine Gefühle zu mir? Projiziere ich einfach nur meine Gefühle zu mir auf meinen Partner und er fühlt ganz anders? Im Zwiegespräch kannst du das offenlegen und gemeinsam mit deinem Partner betrachten und erkunden.

In Bildern statt in Begriffen sprechen:

Versuche dich so konkret wie möglich auszudrücken und frage nach, wenn deine Partnerin in Kürzeln spricht. Wir neigen dazu uns verstehen zu wollen. Das hat manchmal den Nachteil, dass jemand etwas sagt und wir einfach ja sagen, ohne zu überprüfen, ob die Andere wirklich das meint, was ich meine: Ich finde dich prima. Was genau verbirgt sich hinter dieser Aussage? Was ist mit prima gemeint? Wenn ich sehe wie dein Gesicht leuchtet, wenn du mit deinem Freund sprichst, dich ihm zuneigst und lachst, dann wird mir ganz warm ums Herz. Mit einem Satz in dieser Art drückt sich viel konkreter aus, was mit prima gemeint sein könnte. Und welche Wahrnehmung was in meiner Partnerin ausgelöst hat. Bleibe so konkret wie möglich. Benenne die spezifische Situation. Was genau habe ich bei dir wahrgenommen? Und was war meine innere Reaktion darauf.

Ich bin für meine Gefühle selbst verantwortlich:

Sei dir bewusst, dass deine Gefühle in dir entstehen. Wenn ich mich gekränkt oder verletzt fühle, dann gibt es meist eine innere Bereitschaft dazu. Wenn ich mir meiner ganz sicher bin, dann ist es vielleicht eher verwunderlich, wenn von außen eine davon abweichende Bemerkung kommt: Du bist so negativ!
Wenn ich eine innere Tendenz dazu habe das ebenfalls über mich anzunehmen und als „falsch“ zu bewerten, dann wird mich diese Aussage verletzen. Wenn ich das Bild von mir habe, dass ich meist innerlich ausgewogen bin, dann werde ich eher mit Irritation und Verwunderung auf eine solche Aussage reagieren. Sie vielleicht noch einmal abwägen und überprüfen. Aber es wird mich nicht erschüttern.
Diese von Moeller vertretene These halte ich für richtig und zugleich auch für relativ hart. Deshalb habe ich das Bedürfnis dazu noch etwas zu ergänzen:
Die Tatsache, das Kränkung in mir entsteht enthebt mein Gegenüber nicht der Verantwortung auf die eigenen Worte und deren Wirkung zu achten. Ebenso umgekehrt: Ich möchte mir immer auch der möglichen Wirkung meiner Worte auf den Anderen bewusst sein und auch dafür Verantwortung übernehmen.

Sprich darüber!

Um den Kreis zu schließen: Sprich darüber!
Wenn dich etwas verletzt, teile es mit. Nur dann hat dein Gegenüber auch eine Chance, sein Verhalten ggf. anzupassen, oder seine Worte noch einmal zu erklären und zu präzisieren. Ihr könnt gemeinsam erkunden, was mit dem Gesagten mitgeteilt werden wollte und welche Wirkung es im jeweils anderen gehabt hat. Bewertungen darfst du dabei loslassen und dich ganz deiner Neugierde überlassen.

Viel Freude bei deiner Entdeckungsreise.

Herzlichst,
anne

P.S.: Welche Erfahrung machst du mit dem Miteinandersprechen? Mit Verständnis und Missverständnis? Schreibe einen Kommentar.

Wenn ihr als Paar Lust habt euch bei euren Erfahrungen von mir unterstützen zu lassen. Dann nehmt Kontakt auf. Ich freue mich auf euch!

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Kommentare: 2
  • #1

    Uli und Stef (Donnerstag, 02 März 2023 20:57)

    Haben mit Freude und Amüsement (weil wir uns an einigen Stellen beide ertappt gefühlt haben :) deinen Artikel gelesen! Vielen Dank noch einmal für deine Hilfe.
    Viele Grüße
    Stef und Uli

  • #2

    anne schricker GESTALTTHERAPIE (Freitag, 03 März 2023 08:48)

    ...immer gerne :-)
    Herzliche Grüße,
    anne

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Anne Schricker | Heilpraktikerin für Psychotherapie / 040 31 81 43 23 / info@anne-schricker.de